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"Benjamin" Balkenhol

Als jüngster von vier Brüdern lernte Stephan, sich von den Anregungen der großen Brüder inspirieren zu lassen und sich gleichermaßen davon abzusetzen. Ähnlich muss sein Studium in Hamburg verlaufen sein. Erst das Aufsaugen der inspirierenden Studienzeit unter Ulrich Rückriem, um dann kehrtzumachen und seinen Stiefel überraschend und individuell durchzuziehen: den "Großen" trotzen, nicht zurückstecken und zugleich wahrhaftig professionell bei sich bleiben. Der Kunstmarkt reagiert ähnlich wie seine Brüder. Man staunt, er ist ein ganz Großer, und gleichzeitig bleibt er der kleine Bruder.
Bei Rückriem lernte Stephan das Einmal eins des im Großen zu denken und zu handeln. Nichts ist zu klein oder zu schwer als dass man es nicht umsetzten sollte. Wie nebenbei verinnerlicht man als Rückriemschüler das Lebensmotto Meister Eckharts: "Seid Lebemeister und keine Lesemeister". Wobei Meister Eckhart ein großer Leser war und der Stephan auch. Hier haben wir genau die Art von Widerspruch, die ein zentrales Merkmal von Stephans Arbeit ist. Bei Rückriem ist das wichtigste Bildhauermaterial der Stein. Stein ist materieller Niederschlag von erdgeschichtlichen Zeitmaßstäben und ist in unserer Wahrnehmung das immer schon dagewesene Material. Das Ewige wird bei Rückriem dann mit Hammer und Meißel gesprengt, gebohrt und zu Staub zerklopft. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Stephan hingegen liebt das Holz. Er schnitzt es. Bei diesem Material unterliegen er und das Werk den gleichen Bedingungen. Denn ebenso wie der Künstler ist sein Holzbildwerk Gefährdungen durch Wasser und Feuer ausgesetzt. Holz unterliegt den Mechanismen des Wachsens und Werdens und des Sterbens und Vergehens wie der Mensch. Seine Materialreste führt Stephan nicht an ihren Ursprung zurück, sondern in eine ganz andere Dimension. Er macht aus den Holzresten Feuer. Balkenhol brennt für seine Kunst.
Wer Stephan einmal erlebt hat, wie er in Gesprächen plötzlich schweigsam in seine eigene Welt hinabtaucht, bei seiner Musik, bei seinem Beat, aber beginnt, virtuos das Tanzbein zu schwingen, kann sich vorstellen, wie er vor einem Stück Holz steht, um tanzend den Stamm solange zu bearbeiten, bis nur das übrig bleibt was ihm passt. Das ist ein ästhetisch --- körperliches Erlebnis. Da er ja nun wie ein Musiker agiert, verzeihen ihm die Betrachter gerne die Wiederaufführung seines Klassikers "Mann in schwarzer Hose ". Solange er sich vor dem Holz so begeistern kann und das Publikum freudig in die Hände klatscht ist alles erlaubt, und ehrlich gesagt, ich hätte auch gerne einen dieser stillen Beobachter - die positive lebensfreundliche Aura des " Mannes in schwarzer Hose " um mich herum.
Die Leichtigkeit und Heiterkeit mit der die Figuren vermeintlich daherkommen, lassen nicht die Größe und Schwere des Holzes, den Schweiß im Gesicht des Bildhauers oder den harten Alltag eines Künstlers erkennen. Die dargestellten Bewegungen oder der bildnerische Witz machen vergessen, wie viel Kraft, Aufwand und Konzentration es braucht, aus einem massiven Stück Holz das Imaginierte herauszuschälen. Demgegenüber stehen die fast schon schnoddrig hingeworfenen Tonfiguren als Gegenmodell. Es gibt den wissenschaftlichen Künstlertyp, der im Geiste Cezannes zielstrebig die Methode findet und diese durchdekliniert, um den absoluten Wahrheitsgrad in einem Reinigungsprozess zu kristallisieren. Am Ende steht die Einfachheit. Der andere Künstlertyp, der auf den Spuren Picassos ständig an neuen Erfindungen tüftelt und neue Variationen erspielt, oder teilweise eklektisch aufnimmt, um die Sache dann auf den Punkt zu bringen. Beide Künstlertypen bereichern in ihrer Konsequenz die Kollegen. Ihre Kunst kann zu guten Zeiten einen Kreativitätsschub auf eine ganze Generation von Künstlern bedeuten. Vielleicht hat Stephan Balkenhol von beiden etwas. So gelingt es ihm, mit Methode über den Zeitgeist hinweg, den Betrachtern einen anderen Zugang zur Kunst zu verschaffen. Wie Rodin behandelt er Themen die über längere Zeiträume Gültigkeit haben, und nicht abhängig von äußeren Faktoren und Trends sind.
So waren seine Männer und Frauen aus Holz auch schon recht früh in ihrer Klarheit nicht zu überbieten. " Gebrauche gewöhnliche Worte um das Ungewöhnliche zu sagen" (Schopenhauer) Es ist zu beneiden, mit welch einfachen bildhauerischen "Worten" Stephan sich hier künstlerisch ausdrückt. Gleichzeit kommen ständig neue Erfindungen hinzu: selbst gestaltete Hintergründe für die eigenen Skulpturen, verschiedene Sockelvarianten oder grafische Experimente, Stadtansichten, nicht nur aus Holz, sondern auch in Edelstahl, Bronze, Zinn oder mit Wasser. Bei der künstlerischen Weiterentwicklung ist er ein Erfinder und Schöpfer, ständig auf der Suche, den Beat noch etwas zu verbessern und teilweise die Grenzen seiner sonstigen Arbeitsweise sprengend. Seine künstlerische Arbeit und seine Art zu leben unterwirft er einer ständigen Zerreißprobe. Das ist sein persönlicher Freiheitsdrang: Kunst und Leben ist in ihrer Vielfalt eines.
So bekommt man den Eindruck, als ob uns noch viele Überraschungen ins Haus stehen. Außer als Tänzer, kann man sich den Künstler Stephan Balkenhol beim Arbeiten an den großen Holzfiguren oder beim Vorbereiten einer großen Ausstellung vielleicht als Bergsteiger vorstellen. Die Konzentration, die er vor Beginn der Arbeit ausstrahlt, gleicht der gesammelten Spannung vor der Inangriffnahme eines schweren Aufstiegs. Plötzlich aber ist alles da: der Kopf, die Hände, der körperliche Einsatz und die Tatkraft. Wie in Trance, fliegen in ungeheuerer Geschwindigkeit die Holzstücke aus dem Stamm. Die Zweifel des Künstlers an seiner Arbeit scheinen in diesen Stunden wie eine tonnenschwere Last abzufallen. Hat er den Gipfel erst erklommen, und beschaut sich ganz erschöpft, aber voll innerer Ruhe, seine Leistung, ja, dann gibt es keine Fragen mehr, nur noch ein Staunen und Erleichtert sein über die vollbrachte Tat.
In diesem Sinn zitiert Stephan Balkenhol Alberto Giacometti: " Eine Skulptur ist kein Gegenstand, sie eine Prüfung, eine Frage, eine Antwort". Er ergänzt: "Dass: die eine Frage die nächste in sich trägt". So wird das Ganze zur Sisyphusarbeit, die einen nicht in Ruhe lässt, - "sonst würde man ja aufhören ".


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