a
Thaddäus Hüppi

Der architektonische Einfall könnte aus dem Rokoko stammen. Als ein "durch zierliche, beschwingte Formen und eine weltzugewandte, heitere oder empfindsame Grundhaltung gekennzeichneter Stil" oder Ausdruck einer "Lebenskultur" charakterisiert das Kunstlexikon das Rokoko als den "Versuch einer parasitären Minorität, abseits der Realität in einer fiktiven Welt schöner Illusionen zu existieren". Der Treppenaufgang zum großen Saal ist ohne praktische Zwecke unterbrochen. Ein hölzerner Schacht ragt hoch empor. Wer die Treppe hinaufsteigt, kann durch die eine Tür ins Schachtinnere hineingehen, steil nach oben schauen und durch eine zweite Türe hinaus- und die Treppe weiter hinaufgehen. Im Schachtinneren antworten dem aufwärts gewandten Besucherblick scheinbar schwebende, von oben an Fäden aufgehangene Köpfe, dauerlachende Gesichter, ebenso nett wie bizarr in ihrer unbewegten Stilisierung. Diese Wesen erscheinen sehr fantastisch und eigen, wahlweise klassifizierbar als Folklore, Mystizismus oder Comic-Satire. Liebevolle Hingabe und Kitsch, Handwerk und Nicht-Handwerk, Tradition und Trash stehen hier gegeneinander und ebenso deutlich die Konventionen von gefälliger und aufklärerischer Kunst, bzw. Rokoko und Moderne. Wer oben angekommen ist und sich an der Treppenbrüstung entlang zum oberen Ende des Schachtes begibt, beobachtet von oben die nachfolgenden Besucher unten auf der Treppe, die dumm oder klug nach oben schauen wie er selbst vor einer Minute - eine Spiegelung mit Zeitsprung.
Thaddäus Hüppi irritiert seit Jahren dadurch, dass er mitten in die aufgeklärte, konzeptuell und selbstreflexiv orientierte Gesellschaft seiner künstlerischen Generation sinnlich berückende Idyllen der hier beschriebenen Art platziert. In diesem Umfeld, dass sich Ende der achtziger Jahre beispielsweise an der Hamburger Hochschule der Künste formierte und Thaddäus Hüppi mit Namen wie Andreas Siekmann, Alice Creischer, Gunter Reski, Stephan Dillemuth oder Cathy Skene verbindet, wurden Kunstkritik und Selbstorganisation geprobt, gab es Widerstandsgebote, die sich gegen den damals boomenden Kunstmarkt und mehr noch gegen das verherrlichte Künstlersubjekt in der Spätmoderne richteten. Wenn man indes betrachtet, welche darstellerischen Mittel in diesen weit verzweigten Gruppen gewählt wurden, so ist Hüppis fantastisches Vokabular an Figuren, Würmern und Ornamenten kein außenstehendes Phänomen: Kulturkritik und -vision wurden in comicartige Zeichnungen umgesetzt, Demonstrationsplakate trugen fiktionale Züge (>Gegen den Grünen Terror<, Schild von Christoph Schäfer, Hafenstraße 1987) und die Wertediskussion des Kunstmarkts wurde an prominenter Stelle, im Medium der Malerei ausgetragen ('Malerei 2000', parallele Schau zur Ausstellung 'Der zerbrochene Spiegel', Sprinkenhof Hamburg 1993).
In diesem Zusammenhang nun zurück zum Rokoko bzw. zur eingangs zitierten Vorstellung, "abseits der Realität in einer fiktiven Welt schöner Illusionen zu existieren". Thaddäus Hüppi hat von Beginn an die Illusion geliebt, hat fiktive Figuren und ornamentale Motive entworfen, die aus der Realität hinausweisen und stets schmeichlerisch schön, pastellig und lieb wirken. Er hat dabei den Wurzelgeist, das Gnomgesicht, die Sockelfigurine, den Brunnen und den Wasserspeier neu erfunden, skulptierbare Motive, die gegenwärtig kaum mehr gewagt werden können, weil sie so gegensätzlich zum rationalen Denken sind: Wenn man sie mag, so verfällt man ihnen. Es ist anzunehmen, dass aufgrund dieser Zwangsläufigkeit von Emotion Vorbehalte entstehen, denn wer lässt sich in diesem Moment gerne ertappen? Doch es kann gerade dieser Vorgang sein, der Erleuchtung bzw. Zuordnung in das gegenwärtige Geschehen verschafft. Hüppi baut eine Szenerie auf, die sich im erweiterten Sinne als Stadtraumgestaltung oder Stadtumfeldverbesserung interpretieren lässt. Es handelt sich um einen Außenraum im Innenraum, die Vorstellung eines Idylls, das vielleicht sogar sehr vergleichbar mit jenen atmosphärischen Idyllen ist, die man kurz vor Beginn der Gartensaison in Schaufenstern oder auf Sonderschauflächen von großen Kaufhäusern findet. Auch Wasserspeier, Brunnenbecken, kleine Würmer und Liegestühle wurden von Hüppi in diesem Sinne zitiert: als Inventarstücke für das Wohlbefinden, Möglichkeiten für ein kleines Stück Gegenwelt. Rückblickend auf Hüppis frühere Arbeiten tritt dieses Motiv denn auch wechselweise in verschiedenen Maßstäben vor Augen. In seinen Brunnenmodellen, die unter Umständen auch als reale Außenskulpturen realisiert werden, oder in einem gigantischen Gartenschachspiel. Aber auch in Hüppis Modell von Frankfurt, das die Stadt als ein bunt besetztes, von Figuren und Fratzen belebtes Hochhaus- und Autobahngebirge vorstellt, in seinen Schrank- und Vitrinenskulpturen, die wie private Wohnraumaltäre erscheinen, und in den kompletten Raumausstattungen, die Hüppi beispielsweise im Künstlerkollektiv 'Internett' 1994 als Auftragsarbeit anbot.
Dies führt zu einem spezifischeren Charakteristikum Hüppis: Kaum ein anderer Künstler äußert sich so dezidiert über das Prinzip des künstlerischen Auftrags und über das Begehren der Betrachter. Er spricht von Kundenwünschen, von Relationen zwischen Angebot und Nachfrage, simuliert dabei einen Zustand künstlerischer Abhängigkeit, den er tatsächlich, angesichts seiner Biographie und Haltung, gar nicht empfinden kann bzw. überwunden haben muss. Seine Äußerungen fußen indes auf realen Erfahrungen - "Manchmal sagt jemand: >Denk< dir etwas zum Buß- und Bettag oder für dieses Schaufenster aus" . Und sie sind darüber hinaus auch als phantomartige Vorstellung bedeutsam. Denn Hüppis Arbeiten wirken stets, als würden sie einem solchen Begehren antworten und kraft ihrer Erscheinung innerste Sehnsüchte der Betrachter wecken. Und ihr formales Vokabular ist ganz so aufgebaut, als würde ihnen eine tiefere als die visuell sichtbare Bedeutung beiwohnen.
Hüppi nimmt diese Bedeutung ernst. Er arbeitet mit mythologischen, märchenhaften und mit vielen christlichen Motiven, die keineswegs ironisch gemeint sind, und stellt mit ihnen die Behauptung auf, dass er als Künstler diese Motive eigenmächtig wählt und will. Und so agiert er auch mit dem Begriff der Vereinnahmung. Denn er holt die Obrigkeit über das Wesen seiner Objekte zu sich zurück. Ironie liegt lediglich in dem Zustand dieser Objekte, wenn sie im Umfeld der zunächst selbstorganisierten Projekträume, in einer Ausstellung oder am privaten Zielort erscheinen. Mittels räumlicher Inszenierung verstärkt Hüppi die Eigenmächtigkeit seiner Objekte und er lässt hierzu inzwischen eine Figur namens >Heini< auftreten, die in dieser Hinsicht Schärfe formuliert. >Heini< saß in Hüppis Kojeninstallation auf der Frankfurter Kunstmesse und blaffte (mittels einer eingebauten Tonkassette) die Banker unter den dortigen Besuchern bzw. Sammlern an. Für den eher unbedarften Besucherkreis einer Baden-Badener Gruppenausstellung intonierte er (ebenfalls über Tonkassette) deutsche Volkslieder und in der jetzt präsenten Gartenidylle spielt er, im Liegestuhl sitzend, den zweiten Wasserspeier. Insofern existieren hier nicht nur Rahmungen sondern auch Abgrenzungen, welche aus dem Dasein des Idylls auf das Dasein des Realen antworten. Und von dort aus wieder zurück auf das Idyll.

Susanne Titz

1 Zitiert nach Duden: Bd. 5. Das Fremdwörterbuch, 4. neu bearb. u. erw. Auflage Mannheim 1982, S. 676
Lexikon der Kunst, Bd IV Q-S, VEB E.A. Seemann Verlag Leipzig 1977, S. 153. Vgl. zur Erinnerung an die Historie auch: Egon Fridell, Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg, 2 Bde., München 1927-31.
3 Vgl. beispielsweise die Publikation "Internett. Formation Vorwärts Lebensqualität Kunst"; oder zur Übersicht "Team Compendium: Selfmade Matches. Selbstorganisation im Bereich Kunst", hg. v. Rita Baukrowitz und Karin Günther in Zusammenarbeit mit Gunter Reski, Stephan Dillemuth und Thaddäus Hüppi, Kellner Verlag Hamburg 1994.
4 Diese Begriffe standen im Zentrum der allgemeinen Auseinandersetzung zu Beginn der 90er Jahre und formulierten den späteren Ansatz von Einzelwerken bei Andreas Siekmann, Cathy Skene, Christoph Schäfer und vielen anderen Künstlern dieser Generation.
5 Thaddäus Hüppi im Interview mit Matthias Winzen, in: Ausst. Kat. Zuspiel. Stephan Balkenhol und Thaddäus Hüppi, Neuer Aachener Kunstverein 1997.

Überarbeitete Fassung eines Textes über Thaddäus Hüppi, zuerst erschienen im Kat.Thaddäus Hüppi, Galerie Michael Cosar, Düsseldorf 2000.


zurück zur Übersicht