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Thaddäus Hüppi - Barbatulus
Text: Dr. Kristin Marek

Thaddäus Hüppi, der in Baden-Baden lebt und arbeitet, hat sein Werk seit den späten 1980er Jahren in bewusster Abgrenzung zu den damals vorherrschenden künstlerischen Positionen entwickelt, die von strengen konzeptuellen Ansätzen dominiert waren und gegenüber Narration und figurativen Arbeitsweisen auf reduzierte, materialästhetische Wirkungen im ebenso kontrollierenden wie sakralisierenden "White Cube" der Kunst setzten. So verwundert es nicht, wenn man bei Hüppi, sei es im bildkünstlerischen Medium der Malerei, der Skulptur oder auch der Zeichnung, auf Scharen von bunten, vitalen Figuren aller Größenordnungen trifft, deren ausdrucksstarke Körperhaltung, Gestik und Mimik sofort in direkte Kommunikation mit dem Betrachter treten. Stille Kontemplation, ehrfürchtiges Staunen und Erstarren im puristischen Sakralraum der Kunst ist hier nicht gewollt. Ganz im Gegenteil: Ansprache, Reaktion, Interaktion, Überraschung, Leben, Vitalität. Zudem geprägt von den visuellen Eindrücken der Kirchgänge seiner Kindheit, deren Messen zu nachtridentinischen Zeiten dennoch oftmals in Latein gehalten wurden und angesichts des unverständlichen Gemurmels Zeit zum intensiven Schauen gaben, findet sich in Hüppis präsentischer, gern auch überbordender figurativer Üppigkeit, der Lust an der Dekoration und dem Humor, Witz und Grotesken seiner Arbeiten, der gegenreformatorische Barock als ständige stilistisch-epochale Referenz. So radikal in ihrer Unzeitgemäßigkeit und in ihrem Gegen-den-Strom-schwimmen solch eine künstlerische Position in den späten 1980er Jahren war, so zeitgemäß und aktuell ist sie heute angesichts der neuen Bedeutung von Figuration, prominent vertreten etwa durch die sog. Leipziger Malerschule um Künstler wie Neo Rauch oder postmoderne Mythologen und Erzähler wie Jonathan Meese.

In Marchtal hat Hüppi auf einem Brett, das im vierstöckigen östlichen Klosterhofgebäude im ersten Stock aus einem Fenster des barocken Sommerrefektoriums in den Hof hinein ragt, eine kuriose Kopfskulptur montiert. Mit dicken, aufgeblähten, rosa Pausbacken, riesigen Ohren, die Henkel sein könnten, und zwei kugelrunden, auf die Stirn aufgesetzten, lustig blickenden Äuglein mit leuchtend orangefarbener Pupille schaut der etwa 1,20 Meter hohe Kopf aus laminiertem Kunstharz keck in den Hof hinein. Über den zu einem fein gespitzten Mund geformten roten Lippen sitzt ein mächtiger schwarzer Oberlippenbart. Seine beiden dichten Haarstränge hängen wie ein aus zwei Mondsicheln gebildeter Kreis von der Oberlippe bis zur Kinnpartie hinab. "Bartabalus" lautet denn auch der Titel der Arbeit: "ein wenig bärtig". Das ist eine herbe Untertreibung angesichts des mächtigen Bartschopfes. Doch wofür steht der Bart und wofür diese Büste, die qua definitionem als Teil eines eigentlich Ganzen immer etwas anderes, größeres und vollständiges meint, wovon hier nur ein Ausschnitt zu sehen ist? Die Arbeit will laut Hüppi kein Porträt sein und trägt doch porträthafte Züge. So gibt es nicht zufällig gerade für den Bart ein Vorbild, eine eindrucksvolle Person, der Hüppi einmal begegnet ist ohne heute weiter Kontakt zu haben. Gleich einer Reliquie, einem übrig gebliebenen Ding, das einmal zu etwas anderem gehörte oder einmal mit etwas anderem in Berührung kam, ist der Bart hier nicht nur zeichenhafter Verweis oder bloßes ikonographisch zu entschlüsselndes Zitat, sondern steht in seiner markanten Erscheinungsweise und seinem Sein für eine zwar abwesende, doch durch den Bart anwesende Person. Der Bart ist einfach nur gewandert. Und dies ist typisch für Hüppis Figuren, bei denen nicht nur Bärte, sondern auch Teile von Gesichtern wandern, oftmals auch des eigenen, oder gar die ganze Arbeit. Selbst der Marchtaler Kopf war einmal Teil einer anderen Arbeit. Im Jahr 2003 war er als drehbarer Wasserspucker in Münchens Olympiapark installiert. Dort kam Wasser aus Mund, Ohren und vor allem den Haaren. Doch so überlegt der Aufstellungsort in Marchtal ist, wo er die Besucher des Innenhofes von oben herab betrachtet, so bedacht war er München gewählt, wo sich am Aufstellungsort vormals ein Brunnen Otto Pienes befand und damit ehemals ein Kunstwerk jener konzeptuellen Ausrichtung, von der sich Hüppis Werk so dezidiert abgrenzt. Doch nun ist in München auch der Kopf verschwunden und er dort ebenso Teil der Geschichte des Ortes geworden, wie er es in Marchtal einmal sein wird. Wir sehen dem Wandern der Dinge im Fluss der Zeit zu, ebenso wie der "Ein wenig Bärtige" uns dabei zusieht, wie wir im Klosterhof zu Marchtal den Dingen der Kunst zusehen.


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