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Gunter Reski
Katalog "Zuspiel", Kunstverein Aachen

Zweimal du Mensch ich Mensch

Balkenhol kennt jeder, der Feuilleton liest, und wenn man nach einigen durchgeblätterten Balkenhol-Katalogen im Wald spazieren geht, schimmert bereits in manchen Baumstämmen deutlich ein künftiges Museumsstück durch. Balkenhols Erfolg beruht meiner Meinung nach im wesentlichen darauf, daß jeder Wohnraumbenutzer sich zu oft genau ebensolche Wohnungsnachbarn wünscht. Man muß nie grüßen und kann bei jeder Begegnung zur Selbstbesserung etwas Mitleid loswerden. Neulich beim Staatsbesuch - Helmut Kohl in Südafrika - wurde dem Gastgeber eine seiner Figuren als mitteleuropäische Inkarnation des vernünftigen Menschenbildes überreicht.
Hüppis Arbeit kennzeichnet ein Material- und Formenkatalog, der präzise absonderlich aufs freundlichste immerzu 'huhu' macht. Zwischen Fabel-, Fantasy- und Comicwesen kommen einem dauerhaft grinsende Mondgesichter mit ihren Teleskopnasen entgegen. Es bleibt unklar, ob sie so naiv sind, wie sie scheinen. Es dürfen Materialien Freundschaft schließen, die sonst selten Gelegenheit haben, sich näher kennen zulernen: Autoreifen und Schmuckperlen, Asche und Grinsen, Carrera-Autobahnen und Partyspießchen. Die erste Begegnung verursacht meist Befremden: Das kann nicht sein Ernst und nicht alles sein. Wer nicht sofort weitergeht, muß automatisch seine Geschmacksknospen noch mal durchzählen, ob die falschen aktiviert sind. Oder zu wenige benutzt werden, wenn einem so etwas jetzt doch länger zusagen könnte. Es gibt keinen zwingenden Anlaß, für die aufwendigen liebevollen Formkonstellationen, und trotzdem soviel Freude wie Fragezeichen, daß so etwas einen dort erwartet hat. 'Zu krude' oder 'zu viel Nippes im Anschlag' sind Reaktionen, die nicht bemerken, wie exakt diese Arbeiten sich aus jeweils eher verpönten Ästhetikpools (z.B. Folklorepüppchen und GeoDeko-Malerei) bedienen, ohne ausschließlich in einer dieser Gestaltungsecken als Marginalie zu versacken. Wenn man Mitmenschen dazu bringen kann, ihre konsolidierten Kriterien noch mal nachzubuchstabieren, ist das zwar kein neues Programm, eben Wahrnehmungstuning. Aber wenn der Wahrnehmungs-TÜV vor der Tür steht, freut sich jeder insgeheim doch ein bisschen. Und wer etwas macht, gegenüber dem der vorherrschende Kriterienkatalog ratlos kapitulieren muß, zeigt, wie unzureichend die herrschenden Bewertungsmuster sind.
Im Zentrum beider Arbeitsweisen steht, plump gesagt, selbst gemachte Figuration plus entsprechend verschiedenes Drumherum. Es geht los mit Handwerk, wird Kunst und kann gleichzeitig immer noch Handwerk bleiben ? Hüppi und Balkenhol als Namen klingt gegenübergestellt genau so, daß man sofort weiß, wer mehr Holz verwendet. Wenn Thaddäus Hüppi Holz benutzt, dann eher, indem er es vom Baum pflückt, durch den Farbtopf zieht und natur belassen als organische Infrastruktur (oder Verbindungsmoment zum Umraum) in seine Materialstrecken einsetzt. Die Fertigungsart beider Künstler geht offensiv mit dem handmade-Faktor um, und spielt Kategorien wie Nicht-Kunst, Holzbildhauerei oder Kunstgewerbe so gegeneinander aus, daß die Begriffe bald nicht mehr wissen, wie und was sie eigentlich heißen. Balkenhol neulich im "heute-journal": "Das hat alles weiter keine besondere Bedeutung."
Beide Künstler benutzen demonstrativ das Instrument 'individueller Stil'. Eine nach wie vor verbreitete, überholte Haltung, die persönlichen Stil im Kunstwesen wie eine bourgoise Großgeste abtun möchte, verhält sich wie jemand, der sich die Benutzung von Sprache verbietet, nur weil soviel damit gelogen wird. Legitimer Personenstil ist momentan gekennzeichnet durch folgende Voraussetzungen: Subjekte sterben leider immer kurz bevor sie Genies werden, sie speisen sich letztlich und endlich aus einem bestimmten Input-Output-Verhältnis; je nachdem, wo man sich seine prägenden Beulen holt, treiben an entsprechend anderer Stelle Knospen. Die Differenz zwischen den beiden Worten Stil und 'style' beschreibt ganz gut die verschobene Füllung des Begriffs. Keiner von beiden behelligt einen mit aufdringlichen Ego-Kultivierungen, die heilsbringerisch an die Türe pochen.
Stil ist immer hohl, so wie Leitungssysteme oder Kanalisationen innen leer sind, damit etwas hindurch transportiert werden kann. Dreidimensionale Ab- und Ebenbilder von Artgenossen und Figurenwesen, die zum Identifizieren einladen , scheinen ein kulturelles Grundbedürfnis zu sein, das unterschätzt und von einer so genannten Allgemeinheit förmlich einfordert wird. Charles Ray, Paul McCarthy, Jeff Koons, Katharina Fritsch, Thomas Schütte, Martin Honert, sind noch ein paar andere, die aktuell damit umzugehen wissen. Es geht dabei um den Effekt, wenn man an abgeklärten Orten, an denen vereinbarungsgemäß Kultur verhandelt wird, auf nachgemachte Menschen trifft. Hunde freuen sich auch erstmal richtig, wenn sie Hunde sehen, solange es nicht ums Revier geht.
Über diese biologische/artspezifische Eitelkeit hinaus scheint es nach wie vor Hauptaufgabe einer jeden Zeit zu sein, das aktuelle Generationspersonal in einer Art dauerhaftem Substrat einzufangen, damit die Zeit und die, die sie bevölkern, sich tief in die Augen schauen können und etwas zum Überliefern haben. Das klingt schwer nach Berichterstattungskunst des 19.Jahrhunderts. Wer sich zeitgenössische Photokunst anschaut, weiß, daß diese mit verändertem technischem Rüstzeug kaum etwas anderem nachgeht. Die Kulturleistung "Spiegel" und der Kulturhort "Kunst" stehen sich näher als weithin angenommen wird. 3D-Journalismus scheint schwerer machbar als journalistische Kunst. Man sollte sich Balkenhol auch unter dem Blickwinkel Dokumentarskulptur anschauen, die noch dazu kaum zeittypische Accessoires benötigt. In einem anders neutralisierten Sinn funktionieren seine Statuen für die achtziger Jahre ähnlich präzise wie die Portraits von Thomas Ruff. Dieses Erklärungsmuster über figürliche Bildhauerei betrifft nur scheinbar in erster Linie den Künstler mit mehr Holz. Es ist nicht weiter schwer, sich einen gut besuchten Freizeitpark oder Club-Mediterranee vorzustellen, der komplett ausgekleidet mit Hüppis Formensprache ist. Wie sich das mit dem Dauerlächeln der Clubanimateure verträgt, wäre schon den Versuch wert. Ein guter Gradmesser für Potential und Substanzkünstlerischer Arbeit ist , inwieweit sie sich außerhalb geschützter Kunsträume behaupten. Beide nehmen solche Aufgaben in Angriff. Tradierte Mittel und konserative Werkwirkung, d.h. nicht nur werkimmanente, werden oft vorschnell gleichgesetzt.
Einer der besten Plätze für Balkenhols Figuren ist die Wasseroberfläche, so wie sie direkt auf der Elbe und Themse schwimmend installiert sind. Kurz vor Hamburg wurde vor einigen Monaten im ICE die Notbremse gezogen, weil ein Reisender der im Fluß stehenden Figur zu Hilfe kommen wollte. In London sprang ein Passant direkt von der Themsebrücke, um der Skulptur auf der Wasserkante das Leben zu retten. Unbemerkte Kunstrezeption führt hier zu sozialen Reflexen. Jüngst beantragte ein Krefelder Sozialdezernent eine Balkenhol-Figur zu demontieren, die quasi direkt an der Regenrinne auf einem Hausdach angebracht ist. Begründung: Verführung zum Suizid. [ .. hier noch eventuell Zitat des Gutachters ...] Kunst, die zu alltäglich sozialen Taten anstiften kann, verursacht sozusagen Zivilcourage außerhalb ihrer Autonomie bei Mitmenschen, die in den Figuren auch zurückgenommen angelegt ist.
Wenn Thaddäus Hüppi seine Kunst direkt in der Welt aussetzt, plaziert er sie mittenmang am Wegesrand des Alltagstrott: in einem Versicherungsbüro, einem C&A-Schaufenster oder auch in einer Kirche. Alle diese Örtlichkeiten sind mit einem jeweils codierten Gestaltungsballast infiziert, gegen den es sich erstmal zu behaupten gilt. Das gelingt schon mal immer gut. Wenn seine speziellen Nasen-, Ohren- und Gesichtsformungen direkt auf einer Schaufensterpuppe appliziert sind, wirkt das wie ein tätlicher Angriff auf deren Körperdesign, was sich nicht wehren kann und sofort ähnlich absurd erscheint wie Thaddäus' Kunst. Die Entlarvung oder Dekonstruktion von Alltagsästhetik funktioniert hier, weil die Ästhetik, die attackiert, selbst von vornherein als dekonstruierte angelegt ist und angreift. Beide Künstler erzielen nebenbei mit ihrer vermeintlich gestandenen Herangehensweise eine konkrete Außenwirkung in unkünstlerischen Bereichen, mit denen manche vorab gesellschaftspolitisch definierten Ansätze durch Kunst nicht immer mithalten können.


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