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Clemens Krümmel
Katalog Stadtpreis Baden-Baden

Grinsekatz

Oft und an verschiedenen Stellen sind die Irritationen beschrieben worden, die Räume mit Arbeiten von Thaddäus Hüppi auslösen, wenn man sie zum ersten Mal, oder auch zum wiederholten Mal, betritt. Dabei ist es auffällig und kann nicht nur an einer Vorauswahl ohnehin schon überzeugter Schreibender liegen, dass oft lustige Texte herauskommen, wenn von ihnen die Rede ist - die Schreibenden scheinen den Humor der Arbeiten meist im Vordergrund zu sehen, und da es offenbar Spass macht, sich mit ihnen auseinander zu setzen, reagieren sie mit einer meistens sympathischen Mischung aus ironischem Kommentar und delirierender Nachdichtung.
Klar: es gibt in Hüppis Arbeiten unmissverständlich Berührungspunkte zu dem, was für gewöhnlich als kindisch, naiv, lustig, dekorativ, versponnen, "psychedelisch", "brut", "outside" bezeichnet wird. Hüppi vertritt tatsächlich eine Art reformiertes Bastlertum, das zwar dem Erbe der "Das ist doch noch gut..."-Objekt-Finder zugehört, sich aber nicht über die üblichen antiquarisch-surrealistischen Verfalls- und Alltagsästhetiken ("schmutzige Watte", Julio Cortázar) oder deren beklagenswerten, anal-zwanghaften Akkumulationswahn beschreiben lässt. Im Gegenteil: Auch bei näherer Betrachtung gibt es in den bislang stets rarefiziert auftretenden Figuren, Ornamenten, Zeichnungen und Möbeln gute Gründe, eine andere, mir sehr mutig scheinende Beharrungsstrategie zu finden. Aber, so komisch es sein kann, etwas immer und immer wieder lustig zu finden, so unschöne Begriffsränder es zu hinterlassen pflegt, wenn man etwas partout ernst nehmen will: Gibt es nicht eine Möglichkeit, jenseits dieser Dichotomie etwas über Hüppis Arbeit zu sagen? 
Thaddäus Hüppis klein- und nicht-ganz-so-kleinplastische Figuren und Figurationen haben mit den Jahren eine Menge einfacher, aber effizienter Judotricks erlernt, um überhöhte oder überhöhende Kunsterwartungen sofort per Schulterwurf aus nahezu jedem Ausstellungsraum zu schleudern - nicht um des Auf-die-Matte-Legens willen, wie gleich klar werden wird. Er hat sich, trotzdem es eine Art wiedererkennbaren "Stil" gibt, in einer Art Infra-Verweigerung geübt, was bedeutet, dass er auch Verweigerungshaltungen zu verweigern in der Lage ist, das Possenhafte hinter einem solchen durchaus möglichen Verfahren wiederum aber auch noch zum Gegenstand einer weiteren Stufe der Verweigerung zu machen - es bedeutet, dass er kilometerlange Ausschlussketten überschauen kann, dabei aber überraschenderweise nicht unproduktiv wird und immer noch Gegenstände in Räume stellt, die dadurch von "Kunst-als-Freiraum" ebenso wie von "Ich sag nix" handeln. Den autoritären Charakteren von Keilrahmenbildern, von Figuration, Skulpturalität und Monumentalität kann man nicht mehr anders als ironisch oder strategisch affirmieren, ohne sich dadurch königlich lächerlich zu machen. Auf der anderen Seite ist es auch für eine Kritik bestimmter Kunstgattungen reichlich spät. 
Hüppis Art, bis kurz vor dem Pathetischen unverhohlen selbst gemachte Gegenstände in verschiedensten Räumen zu arrangieren, diese dadurch mehr oder weniger subtil zu verändern, aber nicht zu "beherrschen", hat meines Wissens noch keinen adäquaten Namen. Ikebana-Schwurbel außen vor, liegt hier jedoch jenseits von Hüppis oft gerühmter Medien- und Materialklugheit eine bestimmte "Kunstfertigkeit" vor. Die besteht darin, bei jedem Element einer gestalterischen Geste immer dessen Gegenteil mitzudenken und anzudeuten, aus jeder Materialkombination ein Maximum an Ambivalenz herauszuholen, jedem neuen Raum maßgeschneiderte Anführungszeichen zu verpassen, die aber wiederum nicht zwangsläufig "die der Kunst" sind. Betrachtet man zum Beispiel seine neuen Schachfiguren im Öffentlichkeitsformat, dann werden verschiedene solcher Uneigentlichkeitsstrategien deutlich, ohne dass der jeweilige Gegenstand der Betrachtung verschwimmt. Die Figuren, vor allem natürlich auf ihrem "Schachbrett-Grund", rufen das Spiel der kontaktgestörten Zerebralkönige eher entfernt wach. Sie verlangen, dass sie von zwei oder mehr Leuten in einem Spiel mit plötzlich ungewissen Regeln, die auf denen des Schachspiels basieren können, neu kennen gelernt werden, denn ihre Form ist nicht eindeutig lesbar (es sei denn, man findet, dass die Bauern automatisch immer die kleinsten Figuren zu sein haben, und dass Springerfiguren immer Pferdeköpfe haben müssen). Nicht dass mir reguläre Schachfiguren je besonders viel gesagt hätten, diese hier jedenfalls lächeln lieb, tragen brav ihre Merkmale, ohne sich groß etwas darauf einzubilden, und sie problematisieren sich, zumindest bevor man sich noch auf ihre Hierarchie geeinigt hat, ganz von selbst, indem sie nach den ersten Unterscheidungsanläufen zum Bild einer unerklärlich scheinenden Skulpturengruppe kippen. Trotz der unwillkürlichen Zuschreibung "Schach" bleibt genug, um sich (gemeinsam mit anderen) aufzuregen. 
Eine andere, neue Gruppe von Arbeiten hat sich nicht Raummitten, sondern Raumecken ausgesucht, um ihr Wirkungsgebiet zum Wackeln zu bringen, auch wenn diese "Ecken" mitunter geradezu freiplastisch in eigens geschaffenen Arrangements wieder in einer Raummitte stehen: Hierin reichen gerade noch mit bemalter Vorder- und Rückseite ausgestattete Miniaturköpfe, die mit Fäden zwischen zwei rechtwinklig in der Ecke angeordnete Spiegelfolien abgehängt sind, um den genannten Effekt der Enteigentlichung zu erzeugen. Das mal Albern-spinnerte, mal Naiv-kryptische der winzigen, in den beuligen Folien baumelnden Gesichtsausdrücke reformpsychologisiert jeden Raum, einmal ist, wie um diese Autonomie des Ausdrucks zu beweisen, eine submodernistische weiße Skulpturengruppe hinzugestellt worden. Es ist fast ein körperloses Grinsekatz-Lächeln wie bei "Alice in Wonderland", das aber eben durch die das Ausdruckselend verdoppelnden Spiegel in seinem eigenen Miniaturraum steht und regiert, nicht immer ohne zu nerven. 
Natürlich bewegt sich Hüppi, trotz in jahrelangen Kollaborationen (DANK, Internett, vgl. den Text von Christoph Bannat) und auf Solopfaden erworbener Blessuren und Meriten um Auftragsarbeit, Büroraum-, Brunnen- und Schaufenstergestaltung, trotz allem hauptsächlich im "Feld der Kunst". Er erleidet dessen Nachteile und genießt dessen Vorteile wie viele andere, aber man kann sagen, dass er sich der Ambivalenzen dieses Feldes extrem bewusst ist, denn er hat sich sowohl "innerhalb" als auch "außerhalb" befunden - und das meistens mit ein und demselben Projekt. Es geht nicht um eine rückzugshafte Resubjektivierung, wie der Umgang mit "Uncoolness" als Eigenwert nahe legen könnte. Aus Hüppi wird glücklicherweise niemals ein Meese werden. Zusammenarbeiten mit anderen waren es immer wieder, die das grundlegend nach außen Gehende in Hüppis Skulpturen und Gestaltungen hervorgebracht haben, meist schneller als man "Selbstorganisation" buchstabieren konnte. Das Lächeln oder Grinsen seiner Figuren ist weder ungefährdet ("Ich und meine Autonomie") noch spiegelt es den servilen Krampf aus dem "Dienstleistungsbereich". Es lächelt nur von Ferne die Größe künstlerisch formulierter Kritik an Produktionsökonomien an, dafür aber ziemlich herzlich und eben auch nicht ausschließlich diese. Es lächelt den vielen. Zumindest denen, die in schütteren Zweigen ausgestreckte Hände erkennen können.


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