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Einführungsrede zur Eröffnung der Ausstellung "Thaddäus Hüppi: Vive la reine bleue" im Friedrichsbau Bühl am 21. Oktober 2005

"Vive la reine bleue" - das Motto der Ausstellung von Thaddäus Hüppi ist Programm. Hier wird deutlich gemacht, wie sehr sich ein Künstler dem Lokalen verbunden fühlt, ohne provinziell zu sein. Da ist zum einen die Nähe zum französischsprachigen Nachbarn im Elsass. Zum anderen die Liebe zur Region, in der eine Frucht wächst, die den seltsamen Namen "Blaue Königin" trägt. Das ist dann auch wörtlich genommen eine Figur, wie aus einem Volksmärchen, die Badisches vor sich hinflötet. Die liebevolle Note ist erkennbar, und dennoch wütet hier noch ein anderer Geist, der parodiert und die Verhältnisse ins Ironische zieht. Und auch das ist keineswegs bös gemeint, denn dem Alemannischen steckt der Schalk ja durchaus im Genick. Nur dass die Fastnacht eben auch nicht nur lustig ist. Sie ist auch ein heidnisches Spektakel, mit dem die bösen Geister des Winters vertrieben werden. Die Masken sind freudig anzuschauen und doch sind sie auch bösartig, wenn sie zähnefletschend der Kälte und dem Erstarrten den Weg weisen. Denn alles soll im Frühjahr wieder zum Fließen kommen, die Bäche wieder sprudeln und die Wiese im satten Grün erblühen, als sei es eines jener überquellenden Gemälde, die Thaddäus Hüppi in seiner Ausstellung als eigentliche Premiere in seinem künstlerischen Schaffen hier vorführt. Überraschung gehört denn auch zum Programm dieses Künstlers, der auf den einen Blick so volksnah sein kann, mit scheinbar unschuldiger Freude am handwerklichen Tun und Können sich präsentiert. Der andere Blick zeigt einen spitzzüngigen Kunstjongleur, der genau weiß, wo und wie er sich zu positionieren hat. So ist die titelgebende plastische Figur der "Reine bleue" Liebeserklärung einerseits zu allem was lokal sein mag, zum anderen ist sie aber auch jene böse Maske, die zeigt, hier ist Provinz, deren Terrain erst fürs große Künstlerische bereitet werden muß. Am Eingang positioniert ist sie Einladung und Warnung zugleich. Natürlich geht es dabei nicht zu wie am Eingang von Dantes Hölle, über der geschrieben steht "Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren" - im Gegenteil: es geht um ein Abenteuer mit der Kunst, das sich dem Eintretenden eröffnet, und dieses hat viele Facetten und Gesichter. Spott und Bewunderung, Ernst und schallendes Gelächter gehören dabei zusammen. Und dies in einem Sinne, der der Kunst in früheren Zeiten vielleicht besser zu Gesicht gestanden hat, als in einer problematisierten Gegenwart, die allzu gerne danach fragt, wieviel Kunst denn diese Gesellschaft überhaupt verträgt. Dabei geht es nicht um die Frage, wieviel Kunst diese Gesellschaft braucht - das ist eine etwas verlogene Attitüde, der angeblichen Grenzen der Finanzierbarkeit - sondern welches Maß sie verträgt.
Thaddäus Hüppi gehört eindeutig zu jenen Künstlern, die viel geben. Es gibt in seinen Ausstellungen nicht nur viel zu sehen, sondern auch viel zu erzählen. Und das muß natürlich erst einmal ausgehalten werden. In homöopathischen Dosen ist diese Kunst nicht zu haben. Der Künstler bezieht sich in seinem ästhetischen Wollen auf Zeiten, in denen Magie, Alchemie und symbolische Mehrdeutigkeit vorherrschten. Das Ausstellungsarrangement wird sowohl von barockem Überfluss geprägt, wie auch von der Liebe zur mittelalterlichen Groteske, die erschreckend und doch handwerkliche Perfektion zugleich ist.
Im Innenraum entsteht so ein Brunnenhof, der an die antike und feudale Hofkultur gemahnt, die sich Besinnungsräume mit dem gleichmäßigen Strömen und Fließen der Brunnen schafft. Thaddäus Hüppis Brunnenskulpturen sind demgegenüber lärmige Wasserspeier, die keine große Ruhe aufkommen lassen, sondern eine durchaus deutlich zu vernehmende Wassermusik. Diese speienden Köpfe von Fabelwesen greifen den am First der mittelalterlichen Kathedrale lauernden Wasserspeier auf, nachdem sie den gestaltenden Bildhauer erst einmal zum Stöbern in einen exklusiv sortierten Comicladen geschickt haben. Wer einmal den seltsamen Comicwesen Lewis Trondheims begegnet ist, der erkennt plötzlich, dass sie sich auf einer Zeitreise in einer mittelalterliche Bauhütte verirrt haben müssen und vom Bildhauer nun neu erfunden wurden. Tradition und Kulturindustrie, handwerkliche Kunstfertigkeit und Trivialkultur, High and Low finden hier ganz selbstverständlich zusammen, als hätte es die ideologischen Streitigkeiten um die angeblichen Bösartigkeiten, destruktiven Tendenzen und Trivialisierungen der Massenkultur nicht gegeben. Denn plötzlich erkennen wir, dass Kunst in der mittelalterlichen Praxis auch nichts anderes gewesen ist als Massenkultur, da sie architektonisch im Zentrum der Stadt dominierend, sich an eben diese Massen gewandt hat. In diesem Sinne ist Thaddäus Hüppis Kunst für alle. Was auf den ersten Blick als widersprüchliches Gegeneinander erscheint - hier die spirituelle Kraft und Gehalt mittelalterlicher Bildhauerkunst, dort perfektionierte Unterhaltung - das war eigentlich schon immer gültig. Gute und große Kunst darf auch im unterhaltenden Sinne rezipiert werden und muss nicht im grüblerischen Ernst versinken, der hinter jedem künstlichen Lächeln den Untergang des Abendlandes vermutet. So ist Thaddäus Hüppi ein polyglottes Ungeheuer, aufgespannt zwischen lustvollen Extremen, dessen ästhetischer Neugierde nichts fremd zu sein scheint. Er kann sich an der vertracktesten mittelalterlichen Vokalpolyphonie einer vierzigstimmigen Motette des englischen Komponisten Thomas Tallis ebenso erfreuen, wie an den tiefsinnigen Humoresken eines Charles Schultz und seiner "Peanuts"-Figuren. Der Western kann dabei ebenso gut in seinen rüdesten Ausformungen goutiert werden, wie die komplizierte Innerlichkeit von Schriftstellern wie Robert Walser oder Rolf Dieter Brinkmann. Gerade mit Letzterem teilt er das mühelose Miteinander von Popkultur und der erhabenen literarischen Geste. Wir begegnen auf der einen Seite der Ausstellung dem Künstler, der exakt und akkurat eine zeitgenössische Galerie mit bester Gegenwartsmalerei bestücken kann. Auf der anderen Raumseite antwortet er mit einer Wunderkammerästhetik, wie sie in der Spätrenaissance und im Barock ausgeprägt wurde, in der das Sichtbare als stets wandelbares Wunder gefeiert wird. In diesen Kabinetten spiegelt sich der Reichtum alles Schöpferischen wieder, sei dieses göttlicher oder künstlerisch-menschlicher Natur.
Wie die Kunst des Thaddäus Hüppi einerseits humorvoll, verspielt und flott entworfen im Spagat zwischen großer Kunsttradition und der populären Massenkultur von Comic und Film erscheint, so ist sie doch andererseits von genauer Ernsthaftigkeit und konzeptioneller Strenge geprägt. Letztere schlägt sich nicht zuletzt in seinem geschickten Jonglieren mit den vorgegebenen Raumverhältnissen nieder. Die Ausstellung im Friedrichsbau ist in dieser Hinsicht exakt für den Raum kalkuliert: im linken Umgang präsentieren sich die Kabinette der Wunderkammer, wie sie also große denkerische Linie aus dem barocken Zeitalter in die Gegenwart weiterzudenken wäre. In der Mitte des Raums zeigt sich eine fröhliche Brunneninstallation, die an Sinnbilder einer bildsprachliche Überlieferung anzuknüpfen sucht, wie sie sich mit Wasserspeiern, den Tritonen und Nereiden in zahlreichen mythologischen Kunstwerken finden lässt. Das dialektische Doppelspiel von Bewahrung und Ironisierung macht die skulpturale Kunst Thaddäus Hüppis verführerisch und widerspenstig zugleich. Wenn in den Brunnenskulpturen gespritzt und gespuckt wird, so gilt die spöttische Freude dieser Figuren weniger der Kunsttradition selbst, als deren Rezeption durch einen andächtigen, ehrfürchtigen Betrachter, der die Kunst oftmals in einer Geste der Überforderung zu hoch hängt. Insofern ist Thaddäus Hüppis Antwort einer streng strukturierten Galeriehängung auf der gegenüberliegenden Seite auch eine auf die bürgerliche Erhebungsfeier, die in unseren Tagen in manchem gefeierten Sammlermuseum sich abspielt. Gegen das Hochhängen des Kunstwerks plädiert Thaddäus Hüppi sinnbildlich für ein niedergehängtes malerisches Kunstwerk, das den Blick spontan anspricht und doch voller Rätsel und subtiler Verschlüsselungen ist. Wie in seinen Skulpturen öffnen sich auch diese Werke in ihrer oft raffinierten Konstruktion nicht auf den ersten Blick. Sie bedürfen, ja fordern gar den zweiten Blick eines wiederholten Ansehens heraus, mit dem plötzlich die raffinierten räumlichen Konstruktionen sichtbar werden. Auch in seinen malerischen und zeichnerischen Werken erweist sich der Künstler als Bildhauer, dem mit seinen skulpturalen Gesten an einer spezifischen Form des Räumlichen gelegen ist. Die Raumanlagen der Skulpturen, der Installationen, Brunnen und Malereien sind in einem Wechselspiel zwischen Architektur und Raum zu begreifen. Figuren können dergestalt wie architektonische Raumgrößen behandelt werden. Die Linien von Figuren sind nicht allein der "Ligne claire" belgischer und französischer Comicfiguren zu verdanken, sondern auch der Transparenz, durch die Darunterliegendes und räumlich tiefer Gelegenes durchscheint. Insofern muss genau beobachtet werden, um die Wechselspiele von Vorder- und Hintergrund und der unterschiedlichen Größen- und Proportionsverhältnisse zu erfassen. Thaddäus Hüppis Kunst ist nur scheinbar eine der einfachen Gesten und spontanen Zugriffe. Sie verweigert sich vielmehr dem schnellen Zugriff. Wie in der subtilen Kunst des barocken Manierismus vermag sie zu erstaunen, um den Blick zu konzentrieren.
In diesem Zusammenhang betrachtet, könnte man Thaddäus Hüppis Kunst als eine unzynische begreifen, die nicht für das große Kunstgeschäft kalkuliert ist. Ihm geht es nicht darum, sich im großen Kunstbetrieb mit dem durchzusetzen, was gerade gefragt oder en vogue ist, sondern darum, die Individualität bildkünstlerischer Arbeit und Erfindung aufrecht zu erhalten und zu einer barocken Feier des Üppigen zu gestalten. Im besten Sinne handelt es sich hier um eine obsessionelle Kunst. Sie ist eine Kunst der Besessenheit, die bei allem Können nicht aus diesem herrührt, sondern aus dem Müssen. In diesem Werk geht es nicht ums einfach Ironische oder Provokative, sondern um das, was Harald Szeemann einst als individuelle Mythologien bestimmt hat: "Sie sind die Versuche des einzelnen der großen Unordnung die eigene Ordnung gegenüberzustellen. Wer das nicht sehen will, wird das Verhältnis immer wider umkehren und behaupten, sie brächten die individuelle Unordnung in die unbesehen akzeptierte große Ordnung. Wer so sieht, erliegt dann stets dem verführenden, dem erbaulichen und überzeugenden Bild." In diesem Kontext betrachtet, gehört auch Thaddäus Hüppi zu den unordentlichen Künstlern, die herrschende Ordnung nicht nur in Frage stellend, sondern sie geradezu außer Kraft setzend, sich dem erbaulichen Bild entziehend, um zum obsessionellen Kunstwerk zu gelangen, das von Zeit zu Zeit eben doch mehr Freude bereitet als das sanktionierte und kanonisierte Kunstgeschehen einer vermeintlichen Traditionsordnung. In diesem Sinne hält er die Tradition des Künstlerischen mehr hoch, als alle schnell einzuordnende Kunsthandwerklichkeit, weil sie dem lustvoll obsessionellen Kunstwerk zum Recht verhilft: Thaddäus Hüppi ist ein Kunstbesessener des subversiven Sinns.


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