a
Skulpturen für das Strafjustizzentrum in Würzburg

Ausgangspunkt meiner künstlerischen Auseinandersetzung könnte folgende Fragestellung sein: wie kann man modern sein, und doch Themen und formale Prinzipien aufgreifen, die bis ins Mittelalter hineinreichen? Einerseits die Verwendung moderner Materialien, die sich in der Kunstproduktion seit den siebziger Jahren durchgesetzt haben. Andererseits Motive aus der Vergangenheit, kirchlichen, heidnischen oder außereuropäischen Ursprungs, vermischt mit modernsten Erfahrungen der Werbung und des Comic. Zum ersten mal gelangt bei Tilman Riemenschneider die Dialektik des Bewusstseins über das Material und die Darstellung von Inhalten zu formalem und ästhetischen Ausdruck.
Diesen Zusammenhang zwischen Form und Inhalt, möchte ich mit einer zeitgemäßen Ästhetik zum Ausdruck verhelfen. Hier sollen also die Einflüsse der modernen Massenkultur, die mich wie unsere Gesellschaft geprägt haben, in Form von Film, Comic oder Werbung ebenso bildhaft zum Ausdruck kommen, wie auch die Möglichkeiten, die durch industrielle geprägte Techniken geboten werden, um der Bedeutung und dem Sinn von Justiz und Rechtsvorgängen in ihrer symbolischen, also gesellschaftsrelevanten Bedeutung gerecht zu werden. Damit möchte meine Kunst an Tradition anknüpfen, in dem sich die gegebenen Verhältnisse, die Bedeutung von Justiz heute, in einem zeitgemäßen Sinne symbolisiert und ästhetisch transzendiert, also einerseits sich offenlegt und anderseits sich ästhetisch verschlüsselt: zum modernen Kunstwerk gehört das Geheimnis, das es zu ergründen gilt, kein abbildender Realismus, sondern Verschlüsselung und Symbolisierung der Wirklichkeit.
Der komplexen Situation der Situation, einerseits Verstöße gegen das Gesetz strafend zu ahnden, dabei aber gleichzeitig einen erzieherischen Anspruch umzusetzen, den Täter wieder zu rehabilitieren und in die Gesellschaft wieder einzugliedern - ihm einen Weg der Lösung zu öffnen - und gleichzeitig den Opfern zu ihrem Recht zu verhelfen, antwortet die Kunst in scheinbar heiterer und damit humaner Art und Weise: Strafen nicht durch Abschreckung, sondern als Prozess des Lernens und der Selbsterkenntnis. Der, welcher als Täter, Opfer oder als Richtender das Justizgebäude betritt, soll dies nicht nach dem mittelalterlichen Leitsatz tun "Die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren", sondern soll mit einer optischen Hoffnung ermuntert werden. Dies soll beispielsweise in der Figur zum Ausdruck kommen, die Ei und Weltkugel jongliert. Einerseits greift die symbolische Geste der Figur jene der blinden Justitia auf, die unbeeinflusst "gerecht" - also mit verbundenen, Augen - abwägt, andererseits sehen wir eine Figur, die mit sehendem Auge Ei und Weltkugel gegeneinander ausspielt: Wer sieht, entdeckt die Welt, wie Kolumbus mit seinem Ei die Kugelgestalt der Welt verdeutlichte und damit das Zeitalter der Moderne einläutete: und eine moderne Justiz muss die Augen offen halten, für alle Umstände, Einflüsse und Zustände, um Gerechtigkeit zu ihrem Recht zu verhelfen: insofern möchte die scheinbar heitere Figur fragen, ob Blindheit ein Kriterium von Gerechtigkeit sein kann.
Das Abwägen wiederum soll im großangelegten Mobile aufgegriffen werden. In mehreren Stufen kommen hier die Köpfe ins Schweben, eine Ableitung, die auf die vielfältigen Ebenen und Stufen der Rechtsfindung anspielen kann. Die zweite Figur auf der Stele hält zwei Vögel in der Hand, die Taube und den Raben, schwarz und weiß als dialektische Prinzipien des Abwägens als symbolisches Aufgreifen der Dialektik von Verbrechen und Strafe, von Opfer und Täter, die ins Gleichgewicht zu bringen sind.
Zu dieser symbolischen Ebene kommt das Spiegeln der architektonischen Gegebenheiten hinzu, in dem ich die Achsenbildungen des Gebäudes aufgreife: im Mittelpunkt des Neubaus befindet sich das Mobile, der "Weltjonglierer" wird durch die eine Gebäudeachse sichtbar, der "Vögelbalancierer" durch die andere. Verbunden werden diese optischen Achsen durch die "Bildergalerie" mit ihrer Sitzbank, die zur Kontemplation einlädt: Ruhe und Nachdenklichkeit als ausgleichendes Prinzip von optischen Ereignissen, den "Sensationen" der Rechtssprechung antwortend.


zurück zur Übersicht