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Skulptur für das Rieselfeld

I. Das Rieselfeld als neues städtebauliches Konzept

Das Rieselfeld als größtes Siedlungsvorhaben in Baden-Württemberg richtet sich entschieden gegen den Trend der Stadtentvölkerung (wie er sich z. B. in Leipzig beobachten lässt, vgl. den Artikel von Arnold Bartetzky in der FAZ vom Februar 2005). So ist im Rieselfeld mittlerweile eine zeitgemäße Form des Lebens und Wohnens im Sinne städtebaulicher Planung realisiert worden. Das dadurch entstandene große Angebot an Wohnraum entspannt den Wohnungsmarkt und hat entsprechende Auswirkungen auf das Mietniveau. Eine derartige Auswirkung besitzt Konsequenzen für das gesamte soziale Gefüge der Stadt. Bei der infrastrukturellen Planung und Gestaltung des Rieselfeldes ist es gelungen, das soziale und kulturelle Stadtteilleben gleichzeitig mit der Bebauung zu entwickeln. Das Rieselfeld verfügt demnach über eine aktive und selbstbewußte Bürgerschaft, die sich aktiv an der Planung ihres Stadtteils beteiligt.

II. Kunst im öffentlichen Raum im Rieselfeld

Die Entwicklung von Kunst im öffentlichen Raum in einem solcherart geprägten Stadtteil verlangt meiner Einschätzung nach einem Kunstwerk, das zum einen den Standort prägt, zum anderen aber auch ein symbolisches Zeichen setzt, das wiederum über den Stadtteil hinaus weist. In diesem Sinne gilt es nun einerseits die baugeschichtliche Prägung des Standorts ebenso zu berücksichtigen, wie auch den Kontext zum übrigen Stadtraum mit seiner sozialen, historischen und gesellschaftspolitischen Bedeutung.
Das Rieselfeld hat als ehemaliges Abwasserentsorgungssystem nahezu hundert Jahre lang das Schmutzwasser des südwestlichen Freiburg gereinigt. Die für die damalige Zeit herausragend moderne Methode der Abwasserreinigung sorgte für eine der saubersten Städte Deutschlands. Insbesondere für die achtziger und neunziger Jahre, dem Zeitraum als die Umstrukturierung des Rieselfelds in ein modernes Wohnquartier angegangen und umgesetzt wurde, hat für die gesamte Stadt Freiburg einen entsprechenden Imagewandel hervorgerufen, der sich im Bild von der deutschen Metropole der Sonnenenergie zusammen fassen lässt. Manches an diesem Bild lässt sich als Klischee längst nicht mehr ungebrochen aufrechterhalten: Freiburg, die Stadt der Sonnenenergie, der Kultur, des Weines, geprägt durch das gotische Münster und die berühmt-berüchtigten "Bächle" - das hat zu einem großen Teil unter den veränderten sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen für die Einwohner viel von seinem Charme eingebüßt. Ein neu errichteter Stadtteil, wie das Rieselfeld muss auf diese Veränderungen mit eingehen. So sind in diesem Gebiet mit eigenständiger Infrastruktur moderne Bauwerke entstanden, die in diesem Sinne auch auf das mittelalterliche Stadtzentrum kontrapunktisch mit moderner Architektur und einem gleichfalls spirituellen Mittelpunkt, einem "modernen Münster" antworten. Dies alles geschieht ganz selbstverständlich unter Berücksichtigung moderner, ökologisch bewußter Baumethoden.
Nun kann es im Sinne des Bildes der Stadt und der Geschichte des Rieselfeldes als ehemaliges "Herz" eines Bewässerungssystems, bei dem der lebendige Kreislauf dafür sorgt, schmutziges Wasser durch ein Adersystem und eine Herzpumpe zu leiten, das es dann wieder gereinigt entlässt, darauf ankommen, auf dieses Bild im künstlerischen Sinne zu reagieren und an das wichtige Thema der Darstellung und der Verbindung von Kunst und Wasser zu denken. Die großen Brunnenanlagen der Metropolen der industriell geprägten Moderne wie Paris und London haben in ihrer skulpturalen Üppigkeit und den zum Himmel schießenden Fontänen exakt auf das Zeitalter der Üppigkeit reagiert und voller Stolz mit dem Wasserkreislauf als einem wesentlichen Element des modernen Städtebaus im bildlichen Sinne der Fontäne reagiert.
Zu einem Zeitpunkt, in dem die Grenzen der ökologischen Ressourcen bewusst werden, scheint es nun wenig sinnvoll zu sein, künstlerisch mit einer Brunnenskulptur zu reagieren, bei der die Üppigkeit des Wasserverbrauchs im Mittelpunkt steht: die Strategie muss also heißen "Mehr Kunst als Wasser". Dennoch soll das Element des Wassers als "Ursprungsgeschichte" des neuen Stadtteils ästhetisch gedacht in all seiner symbolischen Funktion in meiner Skulptur aufgegriffen werden. Zwei Elemente sollen meinen Entwurf prägen, deren Symbolik entsprechend "aufgeladen" ist: der Baum und die Wasserspeier. Der Baum ist eng mit dem Wasser verbunden: wo ein Baum steht, ist auch ein Quell zu vermuten. Baum und Quell sind in diesem Sinne Ursprungsbilder der zivilisatorischen Entwicklung. Selbst wenn aus den zugebauten Städten die Bäume verschwinden, war der ursprüngliche Grund der Ansiedlung ein Baum, der gewährleistet hat, dass das Haus mit Wasser versorgt werden konnte. Der Baum besitzt im spirituellen Sinne eine ursprüngliche Symbolik, die die gesamte Kunst der westlichen Zivilisation geprägt hat: der Baum ist der Mittelpunkt des Paradieses, er ist Zeichen für Erhalt und Verlust zugleich. Er ist Grund der zivilisatorischen Entwicklung einerseits und im symbolischen Akt des Sündenfalls Bild der Gefahr des Verlusts andererseits.

III. Ein Baumbrunnen für das Rieselfeld

Eines der raffiniertesten Systeme einer symbolischen Kunst, und das heißt einer auf semiotischer Verschlüsselung beruhender Darstellung von Wirklichkeit, lässt sich in der Kunst des Mittelalters finden. Das Freiburger Münster kann dabei als einer der Höhepunkte einer bildkünstlerischen, skulpturalen und architektonischen Semiotik gelten. Keine Proportion, kein Element und keine Skulptur dieses Bauwerks ist ohne semiotische Entschlüsselung denkbar. So ist auch die Bedeutung des Wassers, als Element des Himmels, das auch auf das Münster fällt, in der Architektur durch die Elemente der Wasserspeier im Sinne eines semiotischen Gesamtkonzepts aufgegriffen. Der Wasserspeier ist demnach nicht nur funktionales Objekt - Regenrinne - sondern auch eine symbolische Geste der Abweisung der bösen Kräfte vom heiligen Raum. Die Zusammenführung der beiden Elemente Baum und Wasserspeier in meinem Entwurf eines "Baumbrunnens" soll nun die beiden zuvor genannten wesentlichen Elemente einer einerseits ortsbezogenen skulpturalen Geste und einer über den unmittelbaren Standort hinausweisenden Symbolik zusammenführen. Einerseits ist der Baum auf den Ort des ursprünglichen Rieselfeldes bezogen als Symbol des Wasserkreislaufs. Andererseits wird die symbolische Idee des Wasserspeiers aus dem Zusammenhang des Freiburger Münsters im Stadtzentrum übernommen und in den neu und anders gelagerten Kontext des Rieselfeldes am Rand der Stadt transferiert. Damit wird die Idee in doppelter Hinsicht "ver-rückt". In dieser Form nimmt der Entwurf Bezug auf die Wirklichkeit in der er Platz haben soll. Ebenso versucht er aber eine Idee gesamtstädtischer Kulturgeschichte aufzugreifen, in der das Mittelalter den wichtigsten Platz einnimmt. Denn das Mittelalter ist die Gründungszeit der freien und autonomen Städte, in deren historischer Verlängerung wir auch eine Stadtteilmanifestation wie die des Rieselfeldes sehen können. Die künstlerische Umsetzung bezieht sich somit auf diese Realien, ohne in Realismen zu verfallen. Die symbolische Verschlüsselung begründet sich zwar in den Realien, sucht aber auch diesen eine eigene Gedankenwelt der Symbolkraft entgegenzusetzen und präsentiert sich als eine eigene, geschlossene Form einer künstlichen Wirklichkeit.
Aus dem Baum, skulpturales Zeichen des nahen Quells, der Fruchtbarkeit, des Gründungsorts von Hütte und Stadt und des Stammbaums wachsen, wie in einem ästhetischen Ansatz des gotischen Bauwerks (vgl. etwa hierzu die Idee der Säule im Kirchenschiff als Baum) die Wasserspeier, die wie im gotischen Münster in Dachhöhe zu denken sind. Natürliches und Künstliches verbindet sich so, in dem das eine aus dem anderen herauswächst, das eine ohne das andere nicht denkbar wäre und dennoch sich als eigenständige "Frucht" aus diesem Wachsen ergibt. Insgesamt wachsen zehn Speier aus dem Baum. Das Wasser soll im Sinne einer Uhr so geschaltet werden, dass zur vollen Stunde aus allen zehn Speiern das Wasser fließt. Alle zehn Minuten werden wechselnd je zwei Speier zusammengeschaltet.
Die Gestaltung der Speier greift gleichfalls auf zentrale Elemente der gotischen Semiotik zurück. In ihnen werden Kunst- und Wissensformen symbolisiert, die zur Entwicklung der städtischen Kulturgeschichte wichtig gewesen sind: Rhetorik - Dialektik - Logik - Grammatik - Musik - Arithmetik - Astronomie - Medizin. Die Figuren der Wasserspeier greifen mit ihren Symbolen auf diejenigen zurück, die wir auch in der Darstellung der freien Künste in den Skulpturen des Freiburger Münsters finden. So zum Beispiel die Zählschnüre zur Darstellung der Arithmetik, das Hornglas (Krokodilum) zu der Medizin, Salamander und Skorpion als Symbole der Logik, die Verwendung eines Spruchbandes "Ich bezaubere wenn ich rede" zur Darstellung der Rhetorik usw.
Die optische Ausführung dieser Wasserspeier hingegen nimmt eindeutigen Bezug auf die moderne Populärkultur der Comicsprache. Auch damit soll der Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne hergestellt werden. Nicht nur in der Symbolsprache dieses Baumbrunnens soll die Autonomie und Geschichte des Stadtteils Rieselfeld und seine Verzahnung mit dem gesamtstädtischen Kontext Freiburgs angesprochen werden, auch die konkrete Ebene der Gestaltung sucht eine durchaus spielerische Verbindung herzustellen zwischen dem Gewachsenen (das Mittelalter der Wasserspeier als Symbol einer "Quelle" der modernen Stadtkultur) und dem neu Gebauten (die Comic-Ästhetik als optisches Signal des Zeitgeistes).    


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