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Die Bronzeplastik "Golem" von Thaddäus Hüppi -
ein Kunst-am-Bau-Projekt des Bundesbaus Baden-Württemberg für die deutsch-schweizerische Gemeinschaftszollanlage Rheinfelden-Autobahn

Ein Kunstwerk entsteht:

Die Entstehungsgeschichte eines Kunstwerkes für ein Kunst am Bau-Projekt beginnt in aller Regel damit, dass ausgewählte Künstlerinnen und Künstler im Auftrag der Kunstkommission des Bundesbaus Baden-Württemberg einen Anruf erhalten (oder einen Brief in ihren Briefkasten vorfinden) mit der freundlichen Anfrage: Haben Sie Interesse, an einem Kunst am Bau-Wettbewerb für ein bestimmtes Bauvorhaben teilzunehmen?
Für die Gemeinschaftszollanlage Rheinfelden-Autobahn hatte die Kunstkommission sechs Künstler bzw. Künstlergruppen zu einem beschränkten Wettbewerb für eine Skulptur im Außenbereich eingeladen. Inhaltliche oder formale Vorgaben wurden nicht gemacht; lediglich ein Standort (unter mehreren) wurde als bevorzugt vorgegeben.
Nachdem die Künstlerinnen und Künstler ihre Teilnahme am Wettbewerb zugesagt hatten, wurden ihnen umfangreiche Auslobungsunterlagen zur Verfügung gestellt: Ortsbeschreibungen und Plane, Fotos der Baustelle und räumlichen Umgebung, Angaben zu den zur Verfügung stehenden Mitteln und zum vorgegebenen Zeitrahmen, Informationen zu den Funktionen der einzelnen Gebäude und zu den Aufgaben der dort Beschäftigten.
Nach Durchsicht dieser Unterlagen, der Besichtigung der Baustelle und weiterführenden Recherchen, u. a. zur Geschichte der Region, machten sich die Künstlerinnen und Künstler an den ersten Teil ihrer Aufgabe: die schöpferische Bildfindung. Diese wurde in Entwurfsskizzen solange überarbeitet und konkretisiert, bis einer der Entwürfe "realisierungsreif" war. Anhand von Beschreibungen, statischen Berechnungen, Kostenschatzungen und maßstabsgetreuen Modellen wurde er präzise ausgearbeitet und schließlich wahrend einer Sitzung der Kunstkommission den Jurymitgliedern vorgestellt. Nach eingehenden Diskussionen innerhalb der Kommission im Anschluss an diese Präsentation entschieden sich die Kommissionsmitglieder zur Umsetzung des Entwurfs von Thaddäus Hüppi, verbunden mit Überarbeitungswünschen bezüglich der Kosten und formalen Ausarbeitung. Die nicht zur Realisierung ausgewählten Vorschläge wurden mit einem Entwurfshonorar gewürdigt.
Nun begann die Arbeit des mit der Realisierung beauftragten Künstlers am Kunstwerk selbst, d. h. an der konkreten Umsetzung des Entwurfs. Seine Aufgabe war die präzise Konzeption aller Teile sowie die eigenhändige Schaffung des künstlerisch gearbeiteten Parts. Bei der Figur des "Golem" war dies die Gussvorlage des Korpus. Der Guss selbst und die Herstellung des Edelstahlsockels wiederum wurden von entsprechenden Fachleuten und Handwerkern übernommen. Der letzte Schliff und die farbige Fassung hat der Künstler abschließend wieder selbst vorgenommen.
Der Herstellungsprozess des "Golem" und sein Transport von der Werkstatt zum Aufstellungsort wurden vom Fotografen Volker Hoffmann aus Rastatt begleitet. Seine Fotos ermöglichen es, anhand eines "Fotoromans" einen kleinen Einblick in den Entstehungsprozess dieses Kunst am Bau-Beitrages zu geben, den der in Baden-Baden lebende Kunstler Thaddäus Hüppi (geb. 1963 in Hamburg) explizit für die Gemeinschaftszollanlage Rheinfelden-Autobahn geschaffen hat.

Das Werk

Kurz bevor die Reisenden die Grenze nach Deutschland passieren, werden sie von einem eigentümlichen Geschöpf freundlich in Empfang genommen. Hoch auf einem Sockel stehend begrüßt es die Einreisenden und fordert sie, wie ein Grenzwächter, dazu auf, naher zu kommen und das Tor zu durchschreiten. Doch nicht nur mit seiner Erscheinung - ist es ein Mensch, ein Fabelwesen, eine Comicfigur oder ein Narr? - gibt dieses Wesen ein Rätsel auf. Auch das Buch in seiner linken Hand gibt keinen Hinweis auf den Inhalt: Ist es das Werk eines Exilanten wie Thomas Mann, sind es die Memoiren eines Reisenden wie Heinrich Heine? Oder ist es das "Buch der Geschichte", in dem alles geschrieben steht? Es konnten aber auch das Grundgesetz, ein Reiseführer oder die Straßenverkehrsordnung sein. Vielleicht ist die Kenntnis dieses Buches ohne Titel die Voraussetzung für das Durchschreiten des Tores? Oder ist es ein Hinweis darauf, sich mit den Erfordernissen einer Grenzüberschreitung auseinander zu setzen - und sich auf das Neue, Fremde vorzubereiten, das sich hinter dieser Grenze befinden mag?
Auch der Titel des Werkes tragt zur Offenheit bei. "Golem", eine legendäre Figur aus der jüdischen Tradition, deren Ursprung im Dunkeln liegt, ist ein Homunkulus, eine Tonfigur in menschenähnlicher Gestalt, die durch Zauber zum Leben erweckt wird. Sie besitzt besondere Kräfte und kann Befehlen folgen, aber nicht sprechen. Auch dieser "Golem" kann nicht sprechen; er "spricht" aber dennoch durch Mimik und Gestik. Allerdings: Braucht dieses Werk eine einzige, eindeutige Auslegung? Besteht nicht vielmehr die Magie dieses Wesens darin, dass es die Reisenden freundlich-humorvoll dazu auffordert, sich mit den Themen Grenzen und Grenzüberschreitung auseinander zu setzen, seien es nun nationale, geistige, kulturelle, künstlerische oder auch psychische Grenzen? Und sich auf das Thema (Ver-)Wandlung bei einer Grenzüberschreitung einzulassen und die Freiheit, die damit verbunden ist? Eine Freiheit, die von den Narren diesseits und jenseits des Rheins einmal im Jahr für ein paar Tage mit viel Hingabe ausgekostet wird?
In einem Punkt jedoch spricht der Kunstler eine eindeutige Sprache, in der Gestaltung des Sockels, die funktional und symbolträchtig zugleich ist. So dient sie nicht nur der Erhöhung der Figur, sondern verweist mit ihren Stilisierungen von Mühlrad, Turbine und Lager auf die Flusskraftwerke im Rhein, die wesentlich zur Industrialisierung und zum Wohlstand der Region beigetragen haben.

Kunst imTreppenhaus

Die Figuren- und Bilderwelt von Thaddäus Huppi setzt sich im Treppenhaus der Warenabfertigung fort. Hier sind drei kleinformatige Werke des Künstlers zu sehen, die ganz in der Huppi'schen "Tradition" der "Hausgeister" stehen: Es sind freundlich-skurrile Wesen, die mythologische, märchenhafte und christliche Motive aufgreifen und in das Älltaglich-Geschäftige des Treppenhauses eine neue, fremde "Realität" einbringen. Den Betrachter, der sich nicht mit ihnen beschäftigen mag, lassen sie gerne ratlos zurück.
So scheint ein erwartungs- und hoffnungsvoll lächelndes Gesicht direkt aus der Wand herauszuwachsen. Ein anderes liegt, umrahmt von einem "Continental"-Reifen, weiß und traumverloren in einem Bett aus grünem Schaum. Dennoch nimmt auch dieses Wesen Kontakt mit der Welt auf, denn aus seiner Stirn "wachst" ein zweites, lebhaftes Gesicht in Form einer Sprechblase, das verschmitzt und neugierig mit dem Betrachter kommuniziert. Und schließlich grüßt ein zeitgenössischer "Schutzheiliger" in einem hölzernen "Schrein" von der Wand. Dieser "Schutzheilige" der Zollanlage greift formal zwar die Figur des "Golem" auf, nimmt aber in einer Vielzahl von Andeutungen Bezug auf die Funktion und den Alltag einer Zollanlage, so dass der Betrachter auf eine phantasievolle Reise voller Assoziationen geschickt wird. Es lohnt sich also durchaus, den "Hausgeistern" im Treppenhaus seine Aufwartung zu machen.

Julia Dold M.A., Bundesbau Baden-Württemberg, Betriebsleitung


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